Aus Gegnern werden Deal-Partner: Donald Trump und Xi Jinping haben sich getroffen – und plötzlich klingt der Handelskrieg nicht mehr nach Dauerfeuer, sondern nach Waffenstillstand auf Probe. Beide Seiten sprechen nach dem Gipfel in Südkorea von „guten Gesprächen“, „Fortschritten“ und einer möglichen Übereinkunft. Trump kündigte an, bestimmte Strafzölle auf chinesische Importe wieder etwas zurückzunehmen. Im Gegenzug stellt Peking in Aussicht, Exportbeschränkungen bei kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden zu lockern und mehr US-Agrarwaren – konkret Sojabohnen – abzunehmen. Beide Seiten verkaufen das als Sieg. Und beide Seiten brauchen es als Sieg.
Die Szene ist politisch aufgeladen: Trump hat in seinem zweiten Amtsjahr die Handelsfront gegen China noch einmal verschärft, mit teils dreistelligen Zöllen auf chinesische Waren. Peking reagierte spiegelbildlich. Das Ergebnis war ein Handelsvolumen, das in einigen Bereichen buchstäblich kollabiert ist, weil der Handel zu diesen Zollsätzen schlicht nicht mehr rechnet. Jetzt also die überraschend versöhnlichen Töne. Die ökonomische Lage zwingt beide Seiten dazu – und genau deshalb ist diese Annäherung für Märkte, Industrie und Geopolitik weit mehr als nur ein Fototermin.
Analyse der aktuellen Lage: Ein Deal auf Zeit, kein Frieden
Offiziell gibt es kein abgeschlossenes Handelsabkommen. Inoffiziell aber ist klar: Es wurde eine Deeskalationsformel gefunden.
Trump hat nach dem Treffen angekündigt, die extrem hohen Importzölle auf chinesische Waren leicht zu senken – von teils über 50 Prozent in Richtung „nur noch“ hohe zweistellige Sätze. Das ist keine Rückkehr zum Freihandel, aber es ist ein Signal an die US-Industrie, die unter teuren Vorleistungen und gestörten Lieferketten leidet. Gleichzeitig erklärte Xi, China werde von unmittelbaren Exportstopps bei Seltenen Erden absehen. Das ist entscheidend, weil diese seltenen Metalle elementar sind für Chips, Batterien, Rüstungselektronik und Windkraftanlagen. Außerdem sollen US-Farmer profitieren: Peking will wieder groß Soja kaufen.
Zwischen den Zeilen erkennbar: Beide Seiten holen sich innenpolitisch Luft. Trump kann sagen, er habe Peking „zu Zugeständnissen gezwungen“. Xi kann sagen, er habe Trump ohne Gesichtsverlust an den Tisch gebracht. Das Ergebnis ist ökonomische Beruhigung – aber ohne strukturelle Lösung bei Themen wie Technologietransfer, Subventionen, Chip-Exportkontrollen oder die Frage, wem die technologische Vorherrschaft im Bereich Künstliche Intelligenz gehören soll. Diese Themen sind weiter offen.
Mit anderen Worten: Wir erleben gerade eher einen Waffenstillstand als einen Friedensvertrag.
Motivation der politischen Entscheidung: Warum beide Seiten gerade jetzt einlenken
Für Washington geht es um drei Dinge.
Erstens: Inflation. Trumps Zollpolitik der vergangenen Monate hat Lieferketten verteuert. In Schlüsselbereichen – Elektronik, Fahrzeuge, Konsumgüter – wurden höhere Importkosten direkt an US-Verbraucher weitergereicht. Eine moderate Zollsenkung kann Trump als Entlastung für „amerikanische Familien“ verkaufen, ohne die grundsätzliche Härte gegenüber China aufzugeben. Das ist innenpolitisch Gold wert.
Zweitens: Industriepolitik. Die USA bauen gerade mit Milliarden Programmen für Halbleiterfertigung, Batterieproduktion, Rüstung und kritische Infrastruktur auf. Dafür brauchen sie Inputstoffe. Und viele dieser Inputstoffe – insbesondere seltene Erden – kontrolliert China. Ein völlig eskalierter Rohstoffkrieg würde nicht nur China treffen, sondern unmittelbar auch die amerikanische Rüstungs- und Tech-Industrie. Das Weiße Haus braucht also Versorgungssicherheit, nicht nur Lautstärke.
Drittens: Fentanyl und Innenpolitik. Trump hat das Thema Drogenimporte aus China zu einem nationalen Sicherheitsproblem erklärt und Zölle auch damit gerechtfertigt. Jetzt verkauft er Entspannung als Hebel, um Peking stärker in die Pflicht zu nehmen. In der Sprache seiner Wählerschaft: „Ich habe Druck gemacht, jetzt liefern die Chinesen.“ Das ist wahlkampftauglich.
Für Peking wiederum sind die Motive mindestens genauso handfest.
Erstens: Wachstum. Die chinesische Konjunktur schwächelt strukturell – Immobilienkrise, schwacher Konsum, Überkapazitäten in Industrie und E-Mobilität. Ein US-Markt, der wieder etwas offener ist und keine unmittelbare Eskalation Richtung 100-Prozent-plus-Strafzölle droht, verschafft Luft für chinesische Exporteure.
Zweitens: Außenpolitische Stabilität. China steht wirtschaftlich enger mit Russland, bezieht dort Energie, liefert industrielle Güter – und gerät damit zunehmend ins Visier amerikanischer Sanktionsdrohungen. Die Gesprächslinie zu Washington muss offen bleiben, wenn Peking verhindern will, dass es gleichzeitig an zwei Fronten (USA und Sekundärsanktionen wegen Russland) wirtschaftlich eingekesselt wird.
Drittens: Seltene Erden als Druckmittel. Peking hat verstanden, dass sein Drohpotenzial – „Wir drehen euch die Materialien für Chips und Rüstung zu“ – nur dann wirklich wirkt, wenn es dosiert wird. Ein totaler Exportstopp hätte den Westen sofort in den absoluten Krisenmodus gezwungen und den Aufbau alternativer Lieferketten beschleunigt. Ein kontrolliertes „Wir können, aber wir tun’s (noch) nicht“ hält den Hebel politisch intakt.
Auswirkungen für die Wirtschaft: Erste Entspannungssignale – aber keine Entwarnung
An den Märkten sorgt die Gipfelrhetorik sofort für Erleichterung. Zyklische Industrie- und Exportwerte, die von globalem Handel leben – Maschinenbau, Halbleiterausrüster, Logistik – reagieren in der Regel positiv auf jedes Signal, dass die USA und China einander nicht weiter mit Strafzöllen bewerfen. Besonders im Fokus: Halbleiter und Hightech-Fertigung. Denn wenn Seltene Erden und High-End-Komponenten nicht weiter eskalieren, fällt unmittelbarer Kostendruck aus der Lieferkette. Das stützt Margen in Bereichen wie Rüstungselektronik, E-Mobilität, Windkraft und Netzwerktechnik.
Für amerikanische Farmer – Sojabohnen, Fleisch, Getreide – ist die Aussicht auf höhere chinesische Käufe eine direkte Umsatzfantasie. Wir haben dieses Drehbuch schon einmal gesehen: In Trumps erster Amtszeit wurden Agrargüter gezielt eingesetzt, um politische Deals als wirtschaftliche Erfolge zu verkaufen. Das Muster kehrt zurück. Die US-Agrarindustrie ist damit einer der unmittelbaren Gewinner.
Für Europa ist das Ganze komplizierter. Europa war in den vergangenen Monaten in die Schusslinie der Trump-Zölle geraten und hat selbst Vergeltungszölle vorbereitet, um den Eindruck amerikanischer Industriesubventionen (Batterien, Chips, Rüstung) nicht einfach zu schlucken. Wenn Washington und Peking nun bilateral deeskalieren, wächst das Risiko, dass Europa außen vor bleibt – sprich: Die USA handeln sich Vorteile in China aus, während europäische Konzerne weiterhin zwischen allen Fronten stehen. Für deutsche Premium-Autobauer, Maschinenbauer und Chemie ist das ein geopolitisches Risiko, kein Vorteil.
Auswirkungen für Unternehmen: Gewinner, Verlierer, Zitterkandidaten
Gewinner kurzfristig:
• US-Agrar (Soja, Mais, Fleisch): China kauft wieder – und Trump verkauft es als Jobs in Iowa und Nebraska.
• US-Rüstungs- und Hightech-Industrie: Wenn Seltene Erden weiter fließen, bleiben die Lieferketten zwar teuer, aber handhabbar. Das nimmt unmittelbaren Druck von Verteidigungselektronik und KI-Hardware.
• Globale Logistik/Container: Weniger Eskalation = weniger Risiko einer totalen Lieferkettenblockade.
Gewinner mittelfristig:
• Westliche Halbleiter- und KI-Champions (Nvidia, aber auch Rüstungselektronik-Anbieter und Netzwerkausrüster): Jede Beruhigung im US/China-Verhältnis senkt das unmittelbare Risiko, dass jemand plötzlich kritische Technologie nicht mehr bekommt – und stützt so die Investitionspläne für neue Rechenzentren und KI-Infrastruktur.
Verlierer kurzfristig:
• Politischer Hardliner-Narrativ in Washington. Trump hat in den vergangenen Monaten mit Strafzöllen bis weit über 100 Prozent geprahlt. Wer in diese Story investiert hat – also in „America First“-geschützte Binnenproduktion als Dauermodell –, muss jetzt zur Kenntnis nehmen, dass Trump in der Realität deal-orientiert bleibt. Das ist Risk-off für die ganz harte Entkopplungs-These.
Zitterkandidaten:
• Europäische Exportindustrien. Wenn USA und China einen bilateralen „Nichtangriffspakt“ auf Lieferketten schließen, wird Europa schnell zum Kollateralschaden oder zum Spielball – höheres Zollrisiko, aber keine direkte Kompensationszusage aus Peking.
• Tech-Unternehmen mit China-Exposure (Stichwort: TikTok, KI-Algorithmen, Datenzugang). Trump hat laut Berichten wieder die Idee auf den Tisch gelegt, das Tiktok-Know-how über ein US-geführtes Konsortium abzuschirmen. Das ist kein Signal für totale Entspannung im Technologiebereich, sondern eher: „Wir reden, aber ich will eure Technologie kontrollieren.“ Dieser Konflikt bleibt.
Geopolitik: Handel als Hebel für Sicherheitspolitik
Der Gipfel zwischen Trump und Xi hat nicht nur eine Wirtschaftsdimension, sondern eine sicherheitspolitische. Laut US-Seite wurde über Russland, Ukraine und Taiwan gesprochen – also die drei neuralgischen Punkte der Weltordnung. Trump versucht offen, Xi in eine Art Vermittlerrolle zu ziehen: weniger Unterstützung für Russlands Kriegswirtschaft, weniger Säbelrasseln Richtung Taiwan. Xi wiederum signalisiert Kooperationsbereitschaft in globalen Fragen wie Fentanyl-Schmuggel und Migration (!) – ein bemerkenswerter rhetorischer Schwenk, der zeigt, wie sehr beide Seiten versuchen, die Beziehung strategisch breiter zu definieren als „Zölle hoch, Zölle runter“.
Mit anderen Worten: Die Handelsgespräche sind inzwischen Teil eines größeren Deals. Wer nur auf Zölle schaut, unterschätzt, dass die USA und China längst über Einflusssphären, Technologie-Standards und geopolitische Vermittlungsrollen verhandeln.
Ausblick und Prognose: Beruhigung der Märkte – aber keine Rückkehr zur alten Globalisierung
Kurzfristig dürfte das Signal „Wir reden wieder“ die Risikoprämien an den Börsen senken. Das heißt: weniger Panik vor einem totalen Decoupling, etwas Rückenwind für zyklische Industrie- und Techwerte, die stark an globalen Lieferketten hängen. Die Märkte mögen Planbarkeit – und genau die liefert dieser Gipfel zumindest vorläufig.
Mittelfristig bleibt die Lage aber fragil. Die USA wollen weiterhin technologische Vorherrschaft in Chips, KI, Rüstung und Daten. China will nicht als Juniorpartner in eine amerikanische Ordnung gedrückt werden. Also wird die Rivalität nicht verschwinden, sondern strukturierter werden. Wir steuern damit nicht zurück in die Globalisierung der 2000er, sondern in eine Welt des kontrollierten Wettbewerbs: Wir bekämpfen uns – aber bitte ohne sofortigen Systemcrash.
Für Investoren heißt das übersetzt: Weniger Weltuntergang, aber kein Freifahrtschein.
Fazit: Ein Deal mit Haltbarkeitsdatum
Das Treffen zwischen Trump und Xi ist ökonomisch ein dringend benötigter Druckablass. Beide Seiten haben eingesehen, dass ein Totalboykott beim jeweils anderen nicht durchzuhalten ist, ohne die eigene Industrie mitzuschädigen. Die unmittelbaren Gewinner sitzen in der Lieferkette für Hightech (Seltene Erden, Halbleiter, Rüstungselektronik), in der US-Agrarindustrie – und an den Finanzmärkten, wo Risiko-Assets nach einer geopolitischen Entspannung traditionell anspringen.
Aber das hier ist kein Frieden, sondern ein atmender Waffenstillstand. Trump hat nicht plötzlich aufgehört, mit Strafzöllen zu drohen. Xi hat nicht aufgehört, industrielle Abhängigkeiten als geopolitischen Hebel einzusetzen. Europa steht zwischen den Blöcken – ökonomisch verwundbar, politisch laut, aber nicht am Tisch.
Für Anleger bedeutet das: Die ganz große Eskalationsangst ist erst mal raus. Aber wer glaubt, die USA und China würden jetzt wieder einfach freien Handel machen wie vor zehn Jahren, erzählt sich eine schöne Geschichte für die Börse – nicht für die Realität.




