100 Tage nach dem EU-USA-„Handelsdeal“: Wo die Zölle wirken – Zwischen Deeskalation und Dauerstress

Hundert Tage nach dem „Handelsdeal“ zwischen Brüssel und Washington ist klar: Der große Knall blieb aus, der Dauerstress aber nicht. Die USA haben seit April einen universellen 10-Prozent-Zoll auf Importe eingeführt, für die EU kam ein effektiver 20-Prozent-Satz obendrauf – flankiert von deutlich höheren Stahl- und Aluminiumabgaben. Die Folge ist ein Flickenteppich aus Ausnahmen, Zusatzabgaben und Rechtsunsicherheit, den Europas Exportindustrien täglich spüren – allen voran Auto, Maschinenbau, Chemie und Stahl. Parallel befasst sich nun sogar der US Supreme Court mit zentralen Zollfragen – ein zusätzlicher Risikofaktor für Planbarkeit.

Analyse der aktuellen Lage – Schadensbegrenzung statt Durchbruch

Der Deal hat vorerst Eskalationen verhindert, aber spürbare Reibungsverluste bleiben: Branchenverbände melden Mehrkosten und Bürokratie, teils wegen versteckter Stahl-/Alu-Komponenten in Produkten. In der Autoindustrie warnt der VDA vor einer „erheblichen Herausforderung“, zumal Zusatzabgaben auf Nutzfahrzeuge und Teile – trotz einzelner US-Erleichterungen – die Kalkulation erschweren. Europäische Stahlhersteller leiden doppelt: US-Zölle verteuern den Absatz in ihrem wichtigsten Drittmarkt außerhalb der EU, während gleichzeitig billigere Asienimporte in Europa Druck machen.

Faktoren für die aktuelle Entwicklung – Drei Treiber

1) Politisch motivierte Basistarife. Die US-Regierung etablierte einen universellen 10-%-Zoll, ergänzt um länder-/sektorspezifische Aufschläge (u. a. Stahl/Alu). Das ist kein punktuelles Anti-Dumping, sondern ein Systemwechsel.
2) Sektorale Verschärfungen. Stahl-/Alu-Zölle wurden verdoppelt bzw. reaktiviert, Ausnahmen aus Vorjahren fielen weg. Das hebelt Kostenketten in Auto, Maschinenbau, Bau und Chemie.
3) Rechtsunsicherheit. Die Supreme-Court-Befassung erhöht die Binärrisiken: Je nach Urteil drohen Ausweitung, Rückabwicklung oder längere Schwebe.

Prognose & Ausblick – Zölle bleiben, Volatilität auch

Kurzfristig spricht wenig für eine schnelle Entspannung: Die Baseline-Zölle sind politisch gewollt, sektorale Aufschläge werden taktisch angepasst. Modelle renommierter Institute verorten die Langfristkosten für Europa in moderatem BIP-Ausmaß – mit überproportionalen Branchenhits (Auto, Stahl). Heißt: Kein systemischer Schock, aber anhaltende Margen- und Bewertungsrisiken in einzelnen Segmenten.

Devisen – Rückenwind für den Dollar, Gegenwind für Euro-Zykliker

Zollunsicherheit wirkt USD-freundlich (Sicherer-Hafen/Relativwachstum) und EUR-dämpfend, solange Europa exportseitig unter Druck steht. Für EUR/USD bleibt damit ein seitwärts bis leicht abwärts gerichtetes Grundrauschen wahrscheinlich – Daten- und Politikschocks vorbehalten. (Makro-Ableitung auf Basis der handelspolitischen Lage und jüngster USD-Politik.)

Sektoren: Gewinner und Verlierer

Verlierer (EU-exponiert in die USA):

  • Auto & Nutzfahrzeuge (Zusatzzölle auf Fahrzeuge/Teile; Stahl-/Alu-Kostendruck).
  • Stahl/Metalle (Zugang USA verteuert; Konkurrenzdruck in der EU).
  • Chemie/Industriegüter (Komponenten mit Stahl-/Alu-Anteil verteuert; Margendruck).

Relativ-Gewinner / defensivere Häfen:

  • US-Inlandssubstitute (z. B. US-Stahl) durch Preisschildschutz.
  • Defensive Qualitätswerte (Gesundheit, Basiskonsum) mit geringer Zollsensitivität. (Marktinferenz, gestützt von Zollstruktur.)

Konkrete Titel – selektiv agieren

  • Thyssenkrupp (TKA), Salzgitter (SZG)Underweight / Reduce. These: US-Markt bleibt erschwert, Asien-Druck in der EU; politische Stützung in Europa braucht Zeit. Risiko: Gegenmaßnahmen der EU, Stahlpreise erholen stärker.
  • BMW (BMW), Mercedes-Benz (MBG), Traton (8TRA)Underperform / Underweight (taktisch). These: Zoll-/Teile-Unsicherheit, Nutzfahrzeug-Zusatzzölle belasten. Risiko: US-Erleichterungen bei Teilen/Antrieben, Währungsrückenwind.
  • Nucor (NUE), Cleveland-Cliffs (CLF)Outperform (relativ). These: Tarifschutz stützt Auslastung/Margen; profitiert von Importbarrieren. Risiko: Nachfrageschwäche im US-Bau/Industrie. (Ableitung aus US-Zollkulisse und Branchenkommentaren.)

Handelsempfehlung – Klare Linie, klare Stopps

Asset 1: EUR/USD

  • Rating: Neutral
  • Kursziel (3–6 Monate): 1,13
  • Potenzial: ca. −2 % vom Bereich 1,155 (Spot-nah) / +3–4 % bis 1,20 bei positiver Überraschung
  • Zeithorizont: Kurzfristig neutral bis leicht USD-freundlich; langfristig Seitwärtsband 1,13–1,20.
  • Katalysatoren: Supreme-Court-Signale, EZB/Fed-Guidance, EU-Gegenmaßnahmen.

Asset 2: EU-Autos (Sektor-Proxy: Stoxx Europe 600 Automobiles & Parts)

  • Rating: Underweight / Reduce (taktisch 3–6 M)
  • Kursziel: −8 % relativ zum Stoxx 600 (Zoll-/Teile-Hebel, Gewinnrevisionen).
  • Katalysatoren: Detailregeln zu Nutzfahrzeug-/Teilezöllen; USD-EUR; EU-Gegenmaßnahmen.

Asset 3: EU-Stahl (TKA/SZG Basket)

  • Rating: Underweight
  • Kursziel: −5 bis −10 % (3–6 M), abhängig von Exportmix USA/EU und Energiepreisen.
  • Katalysatoren: US-Umsetzung 50 % Stahlzoll; EU-Kontingente/Schutzklauseln.

Asset 4: US-Stahl (NUE/CLF Basket)

  • Rating: Overweight / Outperform
  • Kursziel: +8–12 % (6–12 M) bei stabiler Inlandsnachfrage.
  • Katalysatoren: Infrastruktur-Aufträge, Importvolumina, Preisdurchsetzung unter Zollschirmen. (Zoll-Ableitung/Branchendaten.)

Vergleichspaare im FX – Wo der Zollimpuls ähnlich wirkt

  • USD/JPY: Zoll- und Wachstumsunsicherheit + Renditevorsprung = USD-Bias, aber Interventionsrisiko bleibt.
  • EUR/GBP: EU-Exporte vs. UK-Sonderrolle – volatiler Spread, abhängig von BoE-Pfad und EU-Gegenmaßnahmen. (Makro-Ableitung.)

Fazit – „Kein Crash, aber Vorsicht ist geboten“

Der 100-Tage-Befund lautet: Deeskalation ja, Entwarnung nein. Basistarife und sektorale Zuschläge sind gekommen, um zu bleiben. Für Anleger heißt das: US-Zollschutz als Investment-Faktor ernst nehmen, EU-Zykliker mit hoher US-Exponierung (Auto, Stahl, Teile) untergewichten, selektiv US-Inlandssubstitute übergewichten – und im FX das Grundrauschen eines stärkeren USD einkalkulieren. Der größte Unsicherheitsfaktor bleibt das Recht: Supreme-Court-Signale können das Bild jederzeit drehen – also Stopps diszipliniert setzen und auf politische Schlagzeilen vorbereitet bleiben.

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