Premium-Marke, Premium-Probleme: Mercedes-Benz liefert Zahlen – und die wirken erst einmal brutal. Der Konzerngewinn ist in den ersten neun Monaten 2025 um mehr als 50 Prozent eingebrochen, von rund 7,8 Milliarden Euro auf 3,87 Milliarden Euro. Allein im dritten Quartal sackte der Gewinn um fast ein Drittel auf 1,19 Milliarden Euro ab. Gleichzeitig ist das operative Ergebnis im Quartal sogar um etwa 70 Prozent weggebrochen, belastet durch Restrukturierungskosten, Rückstellungen für mögliche Altlasten im britischen Finanzierungsgeschäft sowie schwache Nachfrage in den Kernmärkten USA und China. Trotzdem steigt die Aktie zunächst deutlich, teils sechs Prozent plus – warum? Weil viele Investoren mit noch Schlimmerem gerechnet hatten und weil Mercedes an seiner Story festhält: Luxus, Effizienz, Cashflow.
Der Befund ist damit zweischneidig: Operativ ist die Lage angeschlagen, strategisch will der Konzern trotzdem Stärke ausstrahlen – inklusive Share-Buyback und Milliarden-Sparprogramm. Die Frage, die sich nun stellt, ist keine rein bilanzielle, sondern eine strategische: Ist Mercedes-Benz gerade dabei, sich neu aufzustellen, oder rutscht der Stuttgarter DAX-Konzern in eine klassische Auto-Krise mit Premium-Lackierung?
Aktuelle Lage: Marge besser als befürchtet, aber Gewinne implodieren
Beim genaueren Blick in die Zahlen sieht man zwei Geschichten gleichzeitig. Story eins: Die Luxus-Schiene funktioniert in Teilen noch. Hochpreisige Modelle – Maybach, AMG, S-Klasse – haben im Kerngeschäft Pkw (Mercedes-Benz Cars) die Marge stabilisiert. Die operative Rendite im Autogeschäft lag im dritten Quartal bei rund 4,8 Prozent und damit sogar leicht höher als im Vorjahr (4,7 Prozent) und über den Analystenerwartungen von knapp 4 Prozent. Das ist für einen zyklischen Autobauer in einer schwachen Weltkonjunktur kein Totalausfall.
Story zwei: Alles, was nicht Marge ist, brennt. Der operative Gewinn ist im Quartal um rund 70 Prozent gefallen – das ist kein kleiner Schönheitsfehler. Haupttreiber sind teure Restrukturierungen (rund 876 Millionen Euro), Stellenabbau, Rückstellungen für mögliche Entschädigungen nach einer Untersuchung in Großbritannien wegen mutmaßlich falsch verkaufter Autofinanzierungen und anhaltender Druck aus China. Die Verkäufe in China sind um 27 Prozent weggebrochen, die Auslieferungen in den USA um 17 Prozent. Global lag das Absatzminus im Quartal bei rund 12 Prozent, der Konzernumsatz sank fast sieben Prozent auf rund 32,1 Milliarden Euro.
Heißt übersetzt: Mercedes verdient an jedem Auto ordentlich – aber verkauft deutlich weniger davon und zahlt gleichzeitig für seine strategische Neuausrichtung.
Faktoren für die aktuelle Entwicklung: China, Elektro, Regulierung, eigene Altlasten
Drei Bremsklötze stechen heraus:
- China-Schwäche
Das Premiumsegment in China ist nicht mehr der Selbstläufer für deutsche Marken. Lokale Wettbewerber drücken mit aggressiv bepreisten Elektro- und Hybridmodellen in die angestammte Komfortzone von Mercedes. Ein Absatzrückgang von 27 Prozent in China in einem einzigen Quartal ist ein ernstes Warnsignal – das ist nicht „Wellenrauschen“, das ist Marktanteilsverlust in einem Kernmarkt. - Geopolitik und Handel
US-Zölle und handelspolitische Spannungen schlagen direkt auf die Marge und die Absatzplanung durch. Gleichzeitig stehen die Europäer vor strengeren CO₂-Flottenzielen. Mercedes muss also parallel billiger produzieren, mehr Elektroanteil liefern und höhere regulatorische Kosten schultern – während gleichzeitig die Zahlungsbereitschaft der Kunden für High-End-Elektrofahrzeuge nicht mehr grenzenlos ist. - Strukturkosten / Altlasten
Das Unternehmen hat Rückstellungen für mögliche Strafen bzw. Entschädigungen im britischen Finanzierungsgeschäft gebildet (Stichwort: potenziell fehlerhafte Kreditvergabe). Dazu kommen hohe Restrukturierungskosten – Mercedes hat ein Sparprogramm über rund fünf Milliarden Euro bis 2027 aufgelegt und will Produktions-, Fix- und Materialkosten jeweils um etwa zehn Prozent drücken. Personalabbau ist ausdrücklich Teil dieses Plans.
Unterm Strich: Mercedes kämpft nicht nur mit konjunkturellen Gegenwinden. Der Konzern zahlt auch jetzt schon die Rechnung für sein eigenes Umbauprogramm.
Prognose und Ausblick: Schlank, exklusiv, elektrifiziert – aber mit weniger Volumen
Der Vorstand bleibt offiziell optimistisch. Trotz Gewinnrutsch hält Mercedes an seiner Jahresprognose fest. Das ist eine wichtige psychologische Botschaft an den Markt: „Wir haben es unter Kontrolle.“ Gleichzeitig wird die Strategie nachgeschärft – weniger Masse, mehr Wert. Hochpreisige Modelle, Fokus auf zahlungskräftige Kundschaft, Kostensenkung mit Axt, nicht mit Skalpell. Das Unternehmen visiert Einsparungen von fünf Milliarden Euro an und bestätigt einen kräftigen Free Cashflow (im Quartal rund 1,4 Milliarden Euro), was den Konzern sogar ermutigt, ein Aktienrückkaufprogramm wieder hochzufahren.
Aber: Die Elektrostrategie ist nicht mehr das reine Wachstumsversprechen. Der Absatz vollelektrischer Fahrzeuge liegt zwar inzwischen bei gut einem Fünftel des Gesamtmix (21,8 Prozent im Quartal), doch die Preisgestaltung ist schwierig. In China und zunehmend auch in Europa rutschen Premium-Elektromodelle in den Preiskampf. Das schmälert genau das Luxus-Narrativ, auf dem Mercedes seine Bewertung gerne aufbaut.
Aus Anlegersicht heißt das: Das Turnaround-Narrativ („wir machen uns schlanker und profitabler“) ist intakt, aber extrem abhängig von China-Stabilisierung und Kostenkontrolle. Jeder Ausrutscher – ein weiterer Absatzeinbruch in China, neue Zölle, Rückstellungen, juristische Risiken – trifft sofort den Gewinn.
Auswirkungen auf Investoren und Börsen: Zwischen Value-Case und Vertrauensfrage
Die Börsenreaktion – Kurs plus im direkten Nachgang – sagt viel über die aktuelle Stimmung: Die Erwartung war tiefer. Viele Profis hatten sich auf ein echtes Desaster eingerichtet. Stattdessen kam ein „kontrollierter Schmerz“ inklusive der Botschaft, dass der Cashflow stimmt und ein Aktienrückkauf zurück ist. Das ist ein Signal an Dividenden- und Value-Anleger: Wir bleiben ein Cash-Motor.
Aber der Markt straft das Geschäftsmodell langfristig trotzdem ab. Die Mercedes-Benz-Aktie war in den vergangenen Monaten deutlich unter Druck, Analysten sprechen von gebrochener Wachstumsfantasie und zweifeln, ob die „Luxus-only“-Positionierung wirklich tragfähig ist, wenn E-Autos weltweit in den Preiswettbewerb abrutschen. Mehrere Häuser sind zwar formal noch positiv („Buy“, „Overweight“, „Outperform“), aber der Ton ist vorsichtiger geworden. Andere Analysten sind auf „Neutral“, „Hold“ oder „Market-Perform“ runter – also sinngemäß: „Nicht anfassen, bis klar ist, ob China sich fängt.“
Das Ergebnis ist ein Klassiker: Die Aktie wirkt optisch günstig, aber sie ist risikobeladen günstig, nicht langweilig-günstig.
Handelsempfehlung: Mercedes-Benz Group (Ticker z. B. MBG) – was tun?
Bewertung des aktuellen Setups:
- Rating: „Hold / Neutral“
(Übersetzt in Analystensprache: zwischen Hold, Neutral, Market-Perform. Für aggressivere Anleger mit starkem Risikohunger kann man das als „Selective Accumulate“ lesen – aber nicht als „Strong Buy“.) - Kursziel (12 Monate): 60 € je Aktie
Begründung: Das ist ein moderat konstruktives Szenario, in dem Mercedes den Sparkurs tatsächlich liefert, der Cashflow stabil bleibt und China nicht weiter abstürzt. Das Kursziel von 60 € entspräche – bei einem aktuellen Kursniveau im mittleren/oberen 50er-Bereich (rund 56 € bis 57 € je Aktie in den jüngsten Reaktionen laut Handelsverlauf) – einem Aufwärtspotenzial von grob 5 bis 8 Prozent. Das ist okay, aber nicht umwerfend. - Potenzial nach unten: Sollte China noch einmal zweistellig wegbrechen oder die Restrukturierung teurer werden als kommuniziert, ist ein Rücksetzer Richtung 50 € absolut denkbar. Das wären dann minus rund 10 bis 12 Prozent vom aktuellen Niveau. Das Abwärtsrisiko ist also real und kurzfristig größer als das theoretische Upside.
Zeithorizont:
- Kurzfristig (nächste 3 Monate): Seitwärts bis volatil abwärts. Die Story „Gewinn halbiert, aber alles unter Kontrolle“ muss der Markt erst verdauen. Jeder neue Datenpunkt aus China wird gnadenlos eingepreist.
- Langfristig (12–24 Monate): Moderate Erholung ist möglich, wenn Sparprogramm + Luxusmarge + Modelloffensive (insbesondere neue vollelektrische Modelle wie der elektrische GLC und der nächste CLA) tatsächlich greifen und Mercedes beweisen kann, dass Premium-Elektro kein reines Rabattschlacht-Geschäft wird.
Mögliche Katalysatoren:
- Stabilisierung der Nachfrage in China (zweistelliges Minus wird zu einstelligen Rückgängen).
- Belegbarer Margenhalt bei Elektrofahrzeugen ohne massive Rabatte.
- Fortschritt beim Sparkurs – also sichtbar sinkende Fixkosten, nicht nur Ankündigungen.
- Rückkaufprogramm / Dividendenfantasie als Signal an Income-Anlegen.
Vergleichbare Aktien:
- BMW: Ähnlich abhängig von China, ebenfalls Premium-Positionierung, aber traditionell etwas konservativer im Elektro-Storytelling.
- Porsche Holding / Porsche AG: Noch stärkeres Luxus-/Exklusiv-Narrativ, dafür aber mit erheblicher Abhängigkeit einzelner Modellreihen und Preissetzungsmacht im Sportwagensegment.
- Volkswagen (insb. Audi, Porsche, Bentley im Konzernverbund): Größeres Volumen, niedrigere Margen, dafür breitere Skaleneffekte und politisch wichtigere Rolle in Europa.
Im direkten Vergleich erscheint Mercedes aktuell wie ein „Turnaround-im-Premium-Mantel“ – mehr Restrukturierungsrisiko als BMW, weniger Markenfetisch als Porsche, aber mit klarer Cash-Flow-Story.
Fazit: Mercedes ist kein Totalschaden – aber definitiv kein Selbstläufer
Mercedes-Benz steht an einem Wendepunkt. Die Zahlen sind schwach, keine Diskussion. Ein Gewinnrückgang um 50 Prozent in neun Monaten und ein operativer Einbruch von 70 Prozent im Quartal schreien normalerweise nach Panik. Trotzdem ist Panik genau das, was der Markt (noch) verweigert. Denn die Stuttgarter liefern immerhin drei Botschaften: Wir sparen aggressiv, wir halten die Luxusmarge, wir generieren Cash und schütten weiter aus.
Aber machen wir uns nichts vor: Das ist jetzt eine Bewährungsprobe. Die Story „Luxus statt Masse“ funktioniert nur, wenn China wieder kauft, Elektro nicht zur Rabattschlacht wird und die Kostenschnitte nicht die Marke beschädigen. Bis das klar ist, bleibt die Aktie ein Haltefall – nicht die offensichtliche Jagdbeute für Schnäppchenjäger.
Kurz gesagt: Wer schon drin ist, darf dabeibleiben (Hold / Neutral, Kursziel 60 €). Wer noch nicht drin ist, muss wissen: Das ist kein Dividendenmärchen mehr, sondern ein Restrukturierungstrade mit China-Risiko.




