Die Wall Street zeigt weiterhin ein widersprüchliches Bild. Während die vorbörslichen Futures in den letzten Handelstagen tendenziell im Minus lagen, konnten die US-Indizes, insbesondere der stark gebeutelte Tech-Sektor, an den eigentlichen Handelstagen Kursgewinne verbuchen. Diese Entwicklung erinnert an ein bekanntes Muster der jüngsten Vergangenheit.
Allerdings mehren sich die Anzeichen für ein insgesamt schwieriges Marktumfeld. Die Einzelhändler gerieten gestern erneut unter Druck, und das Verbrauchervertrauen des Conference Board fiel überraschend schwach aus. Besonders besorgniserregend sind die Aussichten der Konsumenten für die kommenden zwölf Monate, die ein Niveau erreichten, das zuletzt vor zwölf Jahren beobachtet wurde.
Verbraucher pessimistisch – Rezessionsängste nehmen zu
Die Stimmung der amerikanischen Verbraucher in Bezug auf die Entwicklung des Aktienmarktes hat deutlich nachgelassen. Der sogenannte Bull-Bear-Spread, der das Verhältnis von steigenden zu sinkenden Erwartungen misst, verzeichnete in den letzten drei Monaten einen Rekordrückgang und erreichte den niedrigsten Stand seit 2022. Eine Mehrheit der Verbraucher erwartet nun einen schwächeren Aktienmarkt in den nächsten sechs Monaten.
Interessanterweise wertet der bekannte Analyst Tom Lee von Fundstrat diese Entwicklung als potenziell positives Kontraindikator. Dennoch unterstreicht der größte zweimonatige Rückgang der Erwartungen an die Aktienmarktentwicklung seit 40 Jahren die wachsende Unsicherheit.
Diese pessimistische Einschätzung spiegelt sich nicht nur bei den Verbrauchern wider. Eine aktuelle Umfrage unter Finanzvorständen (CFOs) ergab, dass die Mehrheit mit einer Rezession in den Vereinigten Staaten gegen Ende des Jahres rechnet. Auch die Stimmung kleinerer Unternehmen hat sich merklich abgekühlt und erreichte das Niveau vor den letzten Wahlen. Das Wall Street Journal berichtet zudem, dass die anfängliche Euphorie der Unternehmen über den Wahlsieg von Donald Trump verflogen ist und politische Unsicherheit negativ auf die Stimmung drückt.
Barkley senkt Jahresendziele – Handelskrieg als Hauptrisiko
Die Investmentbank Barkley hat ihre Aussichten für den amerikanischen Aktienmarkt deutlich reduziert und die Jahresendziele für den S&P 500 von 6600 auf 5900 Punkte gesenkt. Als Hauptursachen für diese pessimistische Einschätzung nennt Barkley die Unsicherheiten, die durch die Zölle auf China, Mexiko, Kanada und die EU entstehen, sowie die bevorstehende Ausweitung der reziproken Zölle am 2. April. Barkley befürchtet, dass diese Maßnahmen die wirtschaftliche Dynamik weiter bremsen werden, erwartet aber vorerst keine Rezession.
Die Analyse von Barkley verdeutlicht die hohe Unsicherheit im aktuellen Marktumfeld. In einem optimistischen Szenario, in dem die Trump-Administration dem wachsenden Druck nachgibt und die Zollpolitik lockert, könnte der S&P 500 bis auf 6700 Punkte steigen (Wahrscheinlichkeit: 35%). Im pessimistischen Szenario, in dem die Zölle bestehen bleiben und die USA in eine Rezession rutschen, könnte der S&P 500 auf 4400 Punkte einbrechen (Wahrscheinlichkeit: 15%).
Drohende Kupferzölle belasten Schlüsselindustrien
Die Wall Street rechnet offenbar mit der Einführung von Zöllen auf Kupfer in Höhe von 25 Prozent. Sowohl die City Group als auch Goldman Sachs gehen davon aus, dass diese Maßnahme noch vor Jahresende erfolgen wird. Trafigura, das größte Handelshaus für Kupfer, prognostiziert einen Preisanstieg von rund 20 Prozent auf 12.000 US-Dollar pro Tonne.
Die Einführung von Kupferzöllen hätte erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Branchen. Besonders betroffen wären die E-Auto-Industrie, die Unterhaltungselektronik, der Bereich erneuerbare Energien sowie die Bau- und Immobilienbranche, da Kupfer in diesen Sektoren in großen Mengen eingesetzt wird. Bereits jetzt zeigen sich erste negative Folgen der bestehenden Zölle: Cleveland-Cliffs gab bekannt, temporär ein Stahlwerk in den USA zu schließen, unter anderem aufgrund der gesunkenen Nachfrage im Automobilsektor.
Institutionen unter Druck – USA verlieren an Glaubwürdigkeit
Die politische Unsicherheit und die Eingriffe der Regierung in bestehende Verträge und Institutionen geben Anlass zur Sorge. Die Tatsache, dass der US-Kongress über die Finanzierung von Gerichtshöfen entscheidet, nachdem ein Gericht eine Entscheidung gegen die Regierung getroffen hatte, wirft Fragen nach der Unabhängigkeit der Justiz auf. Zudem wird die USA zunehmend als unzuverlässiger Vertragspartner wahrgenommen, wie das Beispiel des überarbeiteten nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) zeigt.
Moody’s warnt vor negativen Fiskalaussichten – Fed bleibt vorsichtig
Die Ratingagentur Moody’s bekräftigte ihre negative Einschätzung der amerikanischen Fiskalaussichten. Die Lage dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern. Auch die jüngsten Äußerungen von Notenbankern deuten darauf hin, dass umfangreiche Zinssenkungen unwahrscheinlicher werden. Die langfristigen Inflationserwartungen ziehen an, was zu einer restriktiveren Geldpolitik führen könnte.
Quartalsendrallye in Sicht?
Ein Faktor, der die Wall Street aktuell antreiben könnte, ist das bevorstehende Quartalsende. Traditionell kommt es zu dieser Zeit zu einem Rebalancing der Portfolios von Pensionskassen. Schätzungen gehen von Käufen im Aktienmarkt zwischen 29 und 105 Milliarden US-Dollar aus. Diese Käufe könnten, insbesondere in einem weiterhin illiquiden Marktumfeld, zu Kurssteigerungen führen. Allerdings könnte die Unsicherheit im Vorfeld der Bekanntgabe der reziproken Zölle am 2. April diese Dynamik möglicherweise wieder bremsen.
Fazit: Die Wall Street bleibt in einem komplexen Spannungsfeld gefangen. Während kurzfristige technische Faktoren und das Quartalsende für Auftrieb sorgen könnten, belasten die trübe Wirtschaftsstimmung, die Eskalation des Handelskriegs und die wachsende politische Unsicherheit die langfristigen Aussichten. Anleger sollten die Entwicklungen genau beobachten und ihre Anlagestrategien entsprechend anpassen.