Standort-Exodus: Sieben von zehn Firmen verlagern Investitionen – was Anleger jetzt wissen müssen

Der Befund ist drastisch: Laut einer aktuellen Managerbefragung verlagern rund 70 % der industriellen Unternehmen Investitionen aus Deutschland – entweder in andere EU-Länder oder gleich auf andere Kontinente. Besonders betroffen: energieintensive Branchen wie Chemie, Stahl, Glas und Zement. Der Mix aus hohen Energiepreisen, Regulierungslast und geopolitischer Unsicherheit beschleunigt die Abwanderungstendenz – und verschiebt Kapitalflüsse in Europa spürbar. Für Anleger eröffnet das Risiken im „alten“ Kern der deutschen Industrie – und Chancen in Standorten mit günstigeren Kostenstrukturen und verlässlicheren Rahmenbedingungen.

Aktuelle Lage: Die 70-Prozent-Zahl und ihr Kontext

Die Zahl speist sich aus einer Umfrage unter 240 Top-Managern: 31 % verlagern Produktion aktiv außerhalb Deutschlands oder bauen sie dort aus, weitere 42 % investieren lieber in anderen europäischen Ländern bzw. verschieben Inlandsprojekte – zusammen etwa 70 %. Parallel zeigen DIHK-Sonderauswertungen, dass Auslandsinvestitionen zunehmend Kostensenkung statt Markterschließung dienen; der Standort verliert an Strahlkraft. EY-Daten untermauern das Bild: ausländische Neuansiedlungen in Deutschland sind in den vergangenen Jahren deutlich gesunken.

Treiber: Energiepreise, Bürokratie – und Politikrisiken

Unternehmen nennen Energie- und Arbeitskosten, Bürokratie sowie unsichere Rahmenbedingungen als Hauptgründe. Der Emissionshandel (ETS) und Berichtspflichten wie CBAM erhöhen insbesondere in Grundstoffbranchen die Kosten – was Investitionsentscheidungen zugunsten energiearmer Standorte verschiebt. Externe Schocks verschärfen den Trend: neue US-Zölle belasten den exportlastigen Auto-Sektor und forcieren Regionalisierung beziehungsweise „Local-Content“-Strategien.

Chancen & Risiken für Investoren

Risiken:

  • Chemie/Stahl/Zement/Glas in Deutschland bleiben im operativen Gegenwind (Energie, CO₂-Kosten, Capex-Unsicherheit).
  • Auto-Exporte stehen zwischen Handelskonflikten und Technologiewechseln unter Druck.

Chancen:

  • CEE-Standorte (Polen, Tschechien, Rumänien) profitieren von Verlagerungen – mit tieferen Energiekosten, Nähe zu EU-Kunden und Förderregimen.
  • Global diversifizierte Automatisierer & Industriegüter verdienen an Re-/Near-Shoring-Capex – unabhängig vom exakten Investitionsland.
  • US-Grundstoff- und Industrie-Titel haben einen strukturellen Energiepreisvorteil.
  • Logistik/Industrial-Real-Estate in CEE profitiert von neuer Produktionstiefe vor Ort. (Die strategische Ausrichtung deutscher Firmen auf Mittel-/Osteuropa belegen KPMG/Ost-Ausschuss-Daten.)

Sektor-Scorecard: Gewinner & Verlierer

Potenzielle Gewinner

  • CEE-Versorger/Infra & Industrial-Real-Estate: steigende Netzauslastung, Flächenbedarf (z. B. Logistik/Light-Industrial).
  • Globale Automatisierer/Engineering: profitieren vom Investitionsersatz und Effizienz-Capex über den Standort hinaus.
  • US-Chemie/Industrie: günstige Energieinputkosten als struktureller Hebel.

Gefährdete Segmente

  • Energieintensive Industrien in Deutschland (Chemie, Stahl, Glas, Zement) – solange Energie- und CO₂-Kosten nicht wettbewerbsfähig sind.
  • Exportlastige Auto-Wertschöpfung in Deutschland – zoll- und regulierungsbedingt erhöhte Unsicherheit.

Rohstoffe & Devisen: Was die Kapitalflüsse bedeuten

Anhaltende Standortverlagerung ist tendenziell EUR-negativ (schwächerer Inlands-Capex-Zyklus), während CEE-Währungen (PLN, CZK) von Direktinvestitionen Rückenwind bekommen können. Für CO₂-Zertifikate (EUAs) bleibt die politische Pfadunsicherheit ein Volatilitätstreiber, Strom/Gas-Spreads zwischen EU und USA sichern US-Industrie relative Vorteile. (Energie- und CBAM-Kostenbelastungen sind in den zitierten Branchenberichten ausführlich dokumentiert.)

Konkrete Ideen (keine Anlageberatung)

Deutschland – selektiv und global diversifiziert spielen

  • Siemens AG (SIE, Xetra)Kaufen: Globaler Automatisierer mit Rückenwind aus Digital-Industries & Gebäudetechnik; profitiert von globalem Re/near-shoring-Capex. Horizont: 12–24 Monate.
  • BASF (BAS, Xetra)Halten: Hohe Energie-/CO₂-Sensitivität; globaler Footprint mildert, aber Inlandsrisiken bleiben. Watchlist für Turnaround-Signale (Energiepolitik, Margenmix).
  • Heidelberg Materials (HEI, Xetra)Halten: Dekarbonisierungscapex hoch; Nachfrage global intakt, aber EU-Kostendruck begrenzt Spielraum.

CEE-Exposure aufbauen

  • ČEZ (CEZ, Prag)Kaufen: Nutznießer von Standortaufwertung/Elektrifizierung in CEE; stabile Cashflows.
  • CTP N.V. (CTPNV, Amsterdam)Kaufen: Marktführer für Industrie-/Logistikparks in CEE; profitiert direkt von Produktionsverlagerungen.
  • ETF-Route: Accumulate iShares MSCI Poland (EPOL, NYSE Arca) / iShares MSCI EMU Small-Cap (SMEA, Euronext) zur breiten CEE/EMU-Capex-Partizipation. (CEE-Verlagerungspläne: KPMG/Ost-Ausschuss.)

USA – Energievorteil monetarisieren

  • LyondellBasell (LYB, NYSE) / Dow Inc. (DOW, NYSE)Halten/Kaufen (selektiv): Günstiger Energie-Feedstock vs. EU; Zyklik im Blick behalten.

FX-Taktik (nur Richtungen)

  • EUR/PLN, EUR/CZK: Seitwärts bis leicht fallend (CEE-FDI-Rückenwind).
  • EUR/USD: Neutral bis leicht schwächerer EUR, wenn Deutschland-Capex schwächelt und US-Wachstum+Zinsen relativ robuster bleiben.

Handelsempfehlung – Kurz & knackig

  • Übergewichten: CEE-Industrie/Infra, globale Automatisierung, selektiv US-Grundstoffe.
  • Untergewichten: Deutsche energieintensive Grundstoffwerte (bis politische Entlastungen/Preisrelationen drehen).
  • Neutral: Exportwerte mit breiter globaler Aufstellung (Stock-Picking).
    Zeithorizont: 12–24 Monate (Standort- und Zollpolitik bleiben die größten Variablen).
    Katalysatoren: Deutsche/EU-Entlastungspakete (Energie/Steuern/Bürokratie), US-Zollpfad, CBAM/ETS-Feintuning, Großprojekte (z. B. Batterien, Halbleiter), initiiert u. a. durch Unternehmensbündnisse („Made for Germany“) – die allerdings gegenläufige Signale senden und daher genau zu prüfen sind.

Fazit

Die Standortfrage ist zurück – und sie hat unmittelbare Portfoliofolgen. Solange Deutschland bei Energie-, Steuer- und Regellasten nicht spürbar entlastet, bleibt die Investitionsmigration real. Für Anleger heißt das: Risiken im Inland bewusst dosieren, Capex-Gewinner in CEE und bei globalen Automatisierern übergewichten – und FX-/Zoll-Risiken auf dem Radar behalten. Die 70-Prozent-Zahl ist kein Randgeräusch, sondern ein strategischer Weckruf.

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